In letzter Zeit fühlt es sich so an, als wäre ich kurz vor meinem metaphorischen Durchbruch. Als hätte der Dirigent meines Lebenswerks dem Orchester gerade die vibrierenden Schlusstakte der Ouvertüre zugeworfen und das Publikum voller Euphorie auf das, was in den nächsten Akten folgen würde, in den Bann gezogen. So als würde sich das Theater namens Leben bald – wenn ich nur noch ein klein wenig Geduld zeigte – in voller Blüte entfalten. Doch irgendwie scheint diese Ouvertüre endlos lange zu sein.
Die Zwanziger sind ein wilder Ritt: Gefühlt bewegt man sich täglich auf einem unberechenbaren Spektrum, das von Ängsten und Prokrastination bis hin zu Euphorie und Tatendrang reicht. Die eigene Stimmung gleicht dabei oft der berühmten Pralinenschachtel, von der man nie weiß was man bekommt.
Man sagt “Wenn Träume keine Angst machen, sind sie nicht groß genug”. Früher hatte ich keine Angst vor meinen Träumen. Ich besaß eine Art Urvertrauen – vielleicht war es aber auch bloße Naivität oder schlichtweg Leichtsinn. Vielleicht habe ich mich aber unbewusst immer auf mein älteres Zukunfts-Ich, ihr Selbstbewusstsein und ihre Can-Do-Attitüde verlassen. Darauf, dass sich diese souveräne Version meiner Selbst auch so viele Jahre später einfach nicht blicken lassen will, war ich allerdings nicht vorbereitet. Je mehr Zeit also vergeht, desto verunsicherter werde ich bei dem Gedanken daran, was sich mein Vergangenheits-Ich für meine Gegenwart und Zukunft so vorgestellt hat. Dass sich Ziele ändern können, habe ich bereits akzeptiert. Tatsächlich begrüße ich diese Tatsache sogar. Dass manche aber gleich bleiben und auch bei mehrmaligen Verdrängungsversuchen immer wieder aus einer Ecke gekrochen kommen, finde ich hingegen fast irritierend. Das bedeutet nämlich, dass man sie nicht als kindliche Träumerei abtun und mit “X” markiert in seinem mentalen Aktenschrank für die Ewigkeit verstauen kann. Stattdessen zwingen sie in ein aufgeladenes Spannungsfeld: Sie nicht zu verfolgen und sich damit – ganz nüchtern betrachtet – selbst zu verraten, oder sich seinen Zweifeln zu stellen und die Ouvertüre auf Dauerschleife zu beenden.
Seit ich begonnen habe, diese Zeilen zu schreiben, sind einige Wochen vergangen. Aus irgendeinem Grund wollte diese Kolumne ihren sicheren Hafen – besser bekannt als meinen Entwürfe-Ordner – nicht verlassen. Während ich viel über dieses Thema nachgedacht habe, hat folgende Quote ihren Weg in meinen Social Media Feed gefunden: Make it exist first, make it good later. Und ich habe erkannt: So unendlich lange die Ouvertüre des Lebens sich auch anfühlen mag, ist sie längst Teil der Vorstellung und bereitet auf alles vor, was noch so kommt. Und für den nächsten Akt braucht es keinen Paukenschlag mit Tony-Award-Auszeichnung oder tosenden Applaus. Es braucht nur ein paar erste Takte, die einen neuen Abschnitt einleiten und die Dramaturgie ändern.